Monthly Archives: Dezember 2017

Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (Verbandssanktionengesetz)

Der bisherige Referentenentwurf des BJM wird jetzt als Regierungsentwurf in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Mit einer Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode ist zu rechnen. Der Entwurf sieht eine Übergangsfrist bis 2022 vor. Dann können Unternehmen für straf- und bußgeldbewehrtes Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter (sog. Verbandstaten), die bei gehöriger Ausgestaltung der Aufsichts- und Kontrollpflichten der Geschäftsleitung, d.h. ein ordentliches Compliance Management System, verhindert oder erschwert worden wären, durch landgerichtliche Entscheidung nach staatsanwaltschaftlichen Anklageverfahren zu erheblichen Sanktionen (für größere Unternehmen bis maximal 10 % des Umsatzes) verurteilt werden. 

Für den Entwurf gab es teils heftige Kritik. Diese ist so nicht gerechtfertigt, meint Dr. Reinhard Preusche, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Compliance e. V. und BKPI- Compliance Partner.

Im Interview mit der Haufe Online Redaktion erläutert er, weshalb.

Befreiungen von der Schulpflicht in der Corona-Krise

I. Gesetzeslage

Die Bundesländer schreiben in ihren Schulgesetzen eine allgemeine Schulpflicht vor, die durch den regelmäßigen Besuch einer Schule und Teilnahme am Schulunterricht zu erfüllen sei. Fast alle Schulgesetze sehen vor, dass von dieser Pflicht aus wichtigem Grund in besonderen Fällen  Ausnahmen, Befreiungen oder Beurlaubungen zugelassen werden können.

In Artikel 6 Abs.2 des Grundgesetzes heißt es, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht ist; über ihre Betätigung wache die staatliche Gemeinschaft. In Art.7 GG heißt es, das gesamte Schulwesen stehe unter der Aufsicht des Staates.

Nach allgemeiner Auffassung, insbesondere auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, verstößt die allgemeine Schulpflicht grundsätzlich nicht gegen das elterliche Erziehungsrecht, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder gegen andere Grundrechte.

II. Corona-Krise

 Zur Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus wurden im März 2020 fast alle Schulen, deren Unterrichtsbetrieb die Anwesenheit der Schüler voraussetzte, geschlossen. Findet kein vorgeschriebener Unterrichtsbetrieb statt, so kommen Befreiungen von der Schulpflicht nicht in Betracht.

Die Corona-Pandemie mit ihren hohen Infektionsgefahren und ihren in die Tausende gehenden tödlichen Erkrankungen wird voraussichtlich auch in den nächsten Monaten fortdauern. Dennoch sind die Schulen seit Mitte April 2020 wieder für den Unterricht geöffnet worden, schrittweise und zunächst nur für bestimmte Jahrgänge. Die Infektionsgefahr soll dadurch gemindert werden, dass die Schulklassen verkleinert und die Wahrung von Abständen zwischen den einzelnen Schülern ermöglicht und vorgeschrieben wird.

III. Verhältnismäßigkeit und praktische Konkordanz

Die Corona-Krise schafft Ausnahmesituationen, die – um das rechtsstaatliche Gebot der Verhältnismäßigkeit zu wahren – auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelungen  Befreiungen von der Schulpflicht zulassen oder gebieten. Befreiungen sind  begünstigende Verwaltungsakte, die für die Dauer und den Umfang der Befreiung zwingende gesetzliche Verbote oder Gebote außer Kraft setzen. Sie können für individuelle Einzelfälle erteilt werden, dies dann meist auf entsprechende Anträge hin, oder aber auch als Allgemeinverfügungen.

 Bei der Abwägung, ob eine Befreiung möglich oder gar geboten ist, fällt hauptsächlich ins Gewicht, dass die erzwungenen Zusammenkünfte der Schüler in der Schule trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hohe Infektions- und Gesundheitsgefahren für die Schüler und ihre Angehörigen mit sich bringen. Im Hinblick auf diese erheblichen Gesundheitsgefahren befand der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Eilbeschluss vom 24.4.2020 (8 B 1097/20 N), es verstoße gegen das Grundrecht des Artikel 3 Abs.1 GG auf Gleichbehandlung, wenn nach der hessischen Zweiten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 16. April 2020 die Schüler der vierten Jahrgangsstufe bereits am 27. April 2020 wieder zur Schule gehen müssten, während die Schüler der anderen Jahrgangsstufen dem Unterricht bis zum 3. Mai 2020 fernbleiben müssten.  Die Erfüllung des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags wird voraussichtlich darunter leiden, dass für einen Unterricht in den Schulen wegen der Abstandsregeln, die zu kleineren Klassen führen, Räume und Lehrer fehlen werden. Mit weit gefassten Befreiungen von der Präsenzschulpflicht könnten in praktischer Konkordanz des staatlichen Unterrichts- und Erziehungsauftrags mit den grundrechtlichen Positionen der Schüler und ihrer Eltern die krisenbedingten Mängel und Lücken des staatlichen Schulunterrichts gemindert werden.

RA Dr. B. Preusche ,Verwaltungsrichter a.D.                        Frankfurt a.M. , den 26.4.2020

Lob der Novellierung des Ladenöffnungsgesetzes zum Sonntagsverkauf in Hessen.

Das geltend Hessische Ladenöffnungsgesetz vom 13.11.2006 tritt mit Ablauf dieses Jahres außer Kraft. Der Regierungsentwurf vom 26.8.2019 zu Änderung des Gesetzes (LT-Drucks. 20/1083) ist sogar aus freiheitlicher Sicht teilweise zu loben.

Lob verdient, dass die Gemeinden nach dem künftigen wie bereits nach dem geltenden § 6 des Ladenöffnungsgesetzes „berechtigt“ sind, die Öffnung von Verkaufsstellen freizugeben. Das spricht dafür, dass die Gemeinden dabei eigene öffentliche Interessen, zum Beispiel die Erhaltung bestimmter Bezirke oder Handelszweige, wahrzunehmen haben.

Lob verdient die Änderung der zur Freigabe erforderlichen Anlassereignisse. Nach dem Regierungsentwurf  sind die Gemeinden „aus Anlass von Märkten, Messen oder besonderen örtlichen Ereignissen (Anlassereignisse)“ zu Freigaben von Ladenöffnungen berechtigt. Nach dem alten Ladenschlussgesetz und dem geltenden Ladenöffnungsgesetz erfolgen Freigaben aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen, um  auswärtige Besucherströme  zu versorgen und für höhere Umsätze zu nutzen. Die vorgesehen Änderung der Anlassereignisse rückt davon ab.

Anerkennung verdient auch – und das mag bei einer freiheitlichen Sicht erstaunen – dass die Gemeinden wie bisher berechtigt sein sollen, die  Öffnung von Verkaufsstellen  an „jährlich bis zu vier Sonn- und Feiertagen“ freizugeben. Eine solche enge Begrenzung gewährleistet an sich, dass Freigaben nur in Ausnahmefällen und nur aus einem gewichtigen Interesse verfügt werden, so dass es eines Anlassbezuges mit Erörterung von  Besuchermengen eigentlich nicht bedarf.

Die geringe Zahl zulässiger Ladenöffnungen von jährlich bis zu vier Sonn- und Feiertagen lässt es auch zu, dass wenn bei der Freigabe die Offenhaltung von Verkaufsstellen auf bestimmte Bezirke oder Handelszweige beschränkt wird, das Kontingent von vier Tagen nur für den jeweiligen Bezirk oder Handelszweig in Anspruch genommen und die Freigabe nicht für alle Verkaufsstellen im gesamten Gemeindegebiet angerechnet wird. Damit wird vermieden, dass Freigaben zu weit gefasst und deshalb rechtswidrig sind, und werden den Gemeinden angemessene Regelungen ermöglicht.

Zu loben ist schließlich auch, dass zur Prognose von Besuchermengen  der Entwurf nicht blind der Rechtsprechung folgt, sondern mit dem Satz 3 des § 6 Abs.2 eine einschränkende Regelung trifft.

Der Entwurf bestimmt gemäß der Rechtsprechung, dass die Gemeinden beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen zu Freigaben berechtigt sind, wenn „ erwartet werden kann, dass das Anlassereignis einen Besucherstrom anzieht, der die bei einer alleinigen Öffnung der Verkaufsstellen zu erwartende Zahl der Ladenbesucher übersteigt“ (§ 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 2). Diese Voraussetzung wird nach der Rechtsprechung nur erfüllt, wenn dafür eine von der Behörde anzustellende, plausible Prognose vorliegt (vgl.:  VGH Hessen, B.v.21.10.2016 -8 B 2618/16;  BVerwG Urt.v.11.11.2015 -8 CN 2/14, juris Rdn.25).

Die Anforderung einer besonderen begründeten Prognose wird mit dem Satz 3 des § 6 Abs.2 des Entwurfs teilweise aufgehoben: „Bei Anlassereignissen, die einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen, bedürfen die Voraussetzungen des Abs.1 Satz 1 Nr. 2 keiner gesonderten Begründung“.

Mit dem Verzicht auf aufwändige  und meist zweifelhafte Prognosen werden die Freigaben von  Ladenöffnungen für die Gemeinden erheblich erleichtert. Die Gerichte dürfen sich dann gegebenenfalls zur Ablehnung von Eilanträgen nicht mit der Begründung begnügen, dass keine geeigneten Prognosen vorliegen, sondern müssten  im Streitfall selbst mühsam  ermitteln und einschätzen, ob die von der Gemeinde dargelegten Voraussetzungen des § 6 Abs.1 Nr.2 erfüllt sind. Das fördert in Eilverfahren die Bereitschaft, nicht auf einen Vergleich von Besuchermengen abzustellen, und fördert den Weg zur Abwägung von Interessen und sachlich richtigen Entscheidungen.

Rechtsanwalt Dr. Burkhard Preusche /  BKPI

18.10.2019

Achtung gefälschte Datenschutzhinweise!

Seit einigen Tagen ist jeder Posteingangsordner voll von Datenschutzhinweisen, bei denen man gebeten wird, durch einen Klick einzuwilligen. Wie zu erwarten war, sind auch Betrüger auf diesen Zug aufgesprungen. Nach deren Masche soll das Opfer einen Anhang des vermeintlichen Datenschutzhinweises mit einem Virus öffnen oder einen Link anklicken, der vermeintlich zu einer Webseite von Amazon, eBay, PayPal oder einer Bank führt. Neben den zu vernachlässigenden falschen Links, die dann erkenntlich auf ganz andere Webseiten mit ganz anderen „Diensten“ verweisen, sind aber manche falschen Verlinkungen nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich. So warnt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), dass in manchen Fällen die betrügerische Verlinkung auf Seiten führt, die auch nach Amazon, eBay, PayPal oder nach der eigenen Bank aussehen. Solche Emails können sogenannte „Pishing-Mails“ sein, mit der Ihre Daten abgegriffen werden sollen, um später damit eine betrügerische Bestellung, Überweisung zu tätigen oder Ihr Account zu kapern (Identitätsdiebstahl). Hier werden Sie aufgefordert, Ihre Daten, Login-Daten oder sogar Freischalt-PINS oder TANS oder andere sensible Informationen einzugeben. Bei solchen Emails sollten Sie zuerst hinter der Angabe des Absenders in der entsprechenden Adresszeile nachschauen, ob hier tatsächlich hinter dem @-Zeichen eine Second-Level-Domain steht, die dem Absender entsprechen könnte. Aber selbst bei Übereinstimmung könnte es immer noch eine gefälschte Mail sein. Es ist offensichtlich, dass normalerweise bei einem solchen Datenschutzhinweis keine sensiblen oder personenbezogenen Daten abgefragt werden. Bei einem Datenschutzhinweis wäre das schon widersinnig. Wenn Sie also nicht sicher sind, können Sie die Email löschen und sich direkt an den vermeintlichen Absender wenden.

Sicher ist letztendlich nur, dass diese Missbrauchsmails sowohl dem Kunden als auch dem Unternehmer schaden, da sie nur die allgemein Hysterie bezüglich der neuen DSGVO schüren.

Daher gilt, wer gelassen und wachsam bleibt, wird auch keinen Schaden von dieser neuen Betrugsmasche zu erwarten haben.

Goetz M. Bauer
Rechtsanwalt

Artikel: Möglichkeiten für die rechtssichere Gestaltung ambulant -stationärer Kooperationen

Wir freuen uns, die Veröffentlichung des Artikels „Trügerische Ruhe nach dem Sturm – Erfahrungen der ambulant -stationären Kooperationen anderthalb Jahre nach Einführung des neuen Korruptionsstrafrechts für Heilberufe“ bekannt geben zu können, in dem die Möglichkeiten für die rechtssichere Gestaltung ambulant -stationärer Kooperationen beschrieben werden.

Der Artikel – geschrieben von Herrn Dr. med. Robert Porcher und Herrn Dr. Reinhard Preusche aus unserem Hause – wird in der neuesten Ausgabe (1/2018, S. 71) des „Ku Gesundheitsmanagement“- Magazins erscheinen, welches im Fachhandel oder auf der Homepage des Fachverlages zu beziehen ist (www.ku-gesundheitsmanagement.de).

Zu Besuchermengen für die Freigabe verkaufsoffener Sonntage

Rechtsanwalt Dr. Burkhard Preusche                                         Frankfurt a.M., den 20.2.2017

Einleitung:

In verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen des Jahres 2016 wird zur Freigabe verkaufsoffener Sonntage nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 – 8 CN 2/14 – BVerwGE 153,183 darauf abgestellt, wieviel Besucher voraussichtlich zu der Veranstaltung kommen, die den Anlass für die Freigabe bildet, und wieviel Besucher voraussichtlich wegen der Ladenöffnungen kommen.

Der folgende Beitrag befasst sich mit dieser Rechtsprechung und ihren Anomalien. Der Verfasser vertritt die Auffassung, dass die mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 eingeleitete Rechtsprechung zur Prognose von Besuchermengen nicht richtig ist.

 

  1. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu dem Ladenschlussgesetz

1.1.) Das vom Bund im Jahre 1956 erlassene Gesetz über den Ladenschluss (BGBl. I S.875) bestimmt in § 3 Abs.1 Nr.1 LadSchlG zu den allgemeinen Ladenschlusszeiten, dass Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kunden geschlossen sein müssen. § 14 des Ladenschlussgesetzes (letzte Fassung vom 2.6.2003, BGBl. I S.744) bestimmt, dass abweichend von der Vorschrift des § 3 Abs.1 Nr.1 Verkaufsstellen aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens vier Sonn- und Feiertagen geöffnet sein dürfen und dass diese Tage von den Landesregierungen oder den von ihnen bestimmten Stellen durch Rechtsverordnung freigegeben werden.

1.2.a) Mit Urteil vom 06.12.2013 erklärte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf Antrag einer Gewerkschaft hin die Rechtsverordnung einer Gemeinde zur Freigabe verkaufsoffener Sonn- und Feiertage für unwirksam, da sie gegen § 14 LadSchlG verstoße[1].

In den Gründen des Urteils heißt es, soweit die Verordnung eine Sonntagsöffnung in Eching-Ost zugelassen habe, habe sie mit den Erfordernissen des materiellen Rechts nicht in Einklang gestanden. Denn die Gemeinde habe bei deren Erlass keine rechtskonforme Prognose darüber angestellt, ob der in jenem Ortsteil erstmals stattfindende Frühjahrsmarkt so attraktiv sein werde, dass er, nicht aber das in Eching-Ost gestattete Offenhalten von Verkaufsstellen, den hauptsächlichen Grund für den Aufenthalt von Besuchern dort bieten würde[2]).

Das Tatbestandsmerkmal „anlässlich eines Marktes“ könne auch dann erfüllt sein, wenn es sich um einen erstmals stattfindenden Markt handle. Notwendig sei in aber eine im Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung nach § 14 LadSchlG getroffene Prognose dahingehend, dass die Marktveranstaltung ein hohe Besucherzahl erwarten lasse, die ihrerseits die Öffnung der örtlichen Verkaufsstellen rechtfertigen könne[3].

1.2.b) Dass die Sonntagsöffnung von Läden anlässlich eines Marktes einen beträchtlichen Besucherstrom des Marktes voraussetzt, das entspricht dem von Anfang an herrschenden Verständnis des § 14 LadSchlG[4].

Das Bundesverwaltungsgericht führte in seinem Beschluss vom 6.3.2003 -6 BN 9.02- zu § 14 LadSchlG aus, es müsse sich um solche Veranstaltungen handeln, die einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen und aus diesem Grund Anlass bieten, abweichend von den allgemeinen Ladenschlusszeiten die Offenhaltung der Verkaufsstellen freizugeben. Der „beträchtliche Besucherstrom“ sei ein solcher, der es erwarten lasse, dass die Angebote der geöffneten Verkaufsstellen in einem auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten relevanten Maße in Anspruch genommen werden[5].

In der Bekanntmachung des bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung   vom 10. November 2004 zu Rechtsverordnungen nach § 14 LadSchlG heißt es, der Zweck des § 14 LadSchlG bestehe darin, den Bedürfnissen eines beträchtlichen Besucherstroms Rechnung zu tragen. Im Übrigen solle den Verkaufsstellen die Möglichkeit gegeben werden, den Zustrom der Besucher geschäftlich zu nutzen[6].

Auch das OVG Lüneburg führte in seinem Urteil vom 21.4.2005 -7 KN 273/04- aus, der Zweck des § 14 LadSchlG bestehe darin, den Bedürfnissen eines aus anderem anerkannten Anlass resultierenden beträchtlichen Besucherstroms Rechnung zu tragen und dem Einzelhandel durch die Einbeziehung der Verkaufsstellen in die Veranstaltung die Möglichkeit zu geben, den Besucherandrang geschäftlich zu nutzen. Darüber hinaus solle dem Versorgungsbedürfnis der auswärtigen Besucher des Veranstaltungsortes Rechnung getragen werden[7].

Nicht für richtig halte ich aber das Gewicht, das in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 06.12.2013 dem Fehlen einer Prognose für die Wirksamkeit der Freigabe-Verordnung beigemessen wird.

Grundsätzlich kommt es für die Gültigkeit einer Rechtsnorm darauf an, ob sie gegen höherrangiges Recht verstößt Das Ladenschlussgesetz schreibt für den Erlass von Rechtsverordnungen, mit denen verkaufsoffene Sonntage freigegeben werden, keine Verfahren und insbesondere keine Prognosen vor. Das Fehlen einer Prognose dürfte daher an sich solche Rechtsverordnungen nicht unwirksam machen[8].

Allerdings schreibt die bereits genannte Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 10.11.204 vor, der Verordnungsgeber habe in jedem Einzelfall im Wege einer sachgerechten Prognose zu prüfen, ob die den Anlass bildende Veranstaltung einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen werde[9].

Im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31.3.2011 heißt es zu der Beanstandung einer Freigabe-Verordnung, es obliege dem kommunalen Verordnungsgeber, im Zeitpunkt des Beschlusses über die zu erlassende Rechtsverordnung zu prüfen und (positiv) festzustellen, dass diese dem geltenden Recht entspricht, was im Falle einer in der Zukunft liegenden Sonntagsöffnung anlässlich eines Jahrmarkts die fundierte und realistische Prognose erfordere, dass an dem betroffenen Sonntag der Markt die vom Gesetz verlangten und von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Kriterien für eine Sonntagsöffnung erfülle[10].

Den Gemeinden ist indessen die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach § 14 Abs.1 LadSchlG ohne Einschränkung und ohne Verfahrensregelungen übertragen[11].

1.3.a) Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Urteil vom 11.11.2015 -8 CN 2.14- die Revision der Gemeinde gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 06.12.2013 zurück[12].

In den Gründen des Urteils heißt es, soweit die zur Prüfung gestellte Rechtsverordnung die sonntägliche Ladenöffnung aus Anlass des „Echinger Frühjahrsmarktes“ gestatte, genüge sie nicht den materiell-rechtlichen Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG[13] . Der in Art.140 GG i.V.m. Art.139 WRV enthaltene Schutzauftrag an den Gesetzgeber gewährleiste ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes. Er statuiere für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis; die typisch werktägliche Geschäftigkeit habe an Sonn-und Feiertagen zu ruhen[14].

Das Bundesverwaltungsgericht habe bisher die Vorschrift des § 14 Abs.1 Satz 1 LadSchlG einschränkend dahin ausgelegt, dass nur Veranstaltungen, die selbst einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen, Anlass für eine Ladenöffnung geben könnten; der Besucherstrom dürfe nicht umgekehrt erst durch die Offenhaltung der Verkaufsstellen ausgelöst werden. Diese Rechtsprechung trage dem verfassungsrechtlich gebotenen Regel-Ausnahme-Gebot noch nicht genügend Rechnung, weil sie nur verlange, dass der Markt für sich genommen einen starken Besucherstrom auslöst, aber nicht ausschließe, dass daneben die Ladenöffnung den öffentlichen Charakter des Tages maßgeblich präge[15]).

Die Vorschrift des § 14 LadSchlG erlaube jedoch eine weitergehende verfassungskonforme Einschränkung ihres Anwendungsbereichs. Die Tatbestandsvoraussetzung „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ sei mit Blick auf das Erfordernis einer allenfalls gering prägenden Wirkung der Ladenöffnung so zu verstehen, dass die öffentliche Wirkung der traditionell auch an Sonn- und Feiertagen stattfindenden Märkte, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen müsse. Die Ladenöffnung entfalte dann eine gering prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung erscheine[16]).

Das könne in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die Ladenöffnung auf das Umfeld des Marktes begrenzt werde, weil nur insoweit ein Bezug zum Marktgeschehen erkennbar bleibe. Bei auf bestimmte Handelszweige beschränkten Märkten könne der erforderliche Bezug auch thematisch dadurch hergestellt werden, dass die Ladenöffnung nur für dieselben Handelszweige zugelassen werde. Darüber hinaus bleibe die werktägliche Prägung der Ladenöffnung nur dann im Hintergrund, wenn nach der anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den der Markt für sich genommen auslöse, die Zahl der Besucher überstiege, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen[17].

Der Verwaltungsgerichtshof habe beanstandet, dass die Gemeinde bei Erlass der Rechtsverordnung keine rechtskonforme Prognose darüber angestellt habe, ob der in Eching-Ost erstmals veranstaltete Frühjahrsmarkt so attraktiv sein werde, dass er und nicht die am selben Tag gestattete Ladenöffnung den hauptsächlichen Grund für den Aufenthalt von Besuchern dort biete. Dagegen sei revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Die nach § 14 Abs.1 Satz 1 LadSchlG gestattete sonntägliche Ladenöffnung aus Anlass eines Marktes setze voraus, dass der Markt selbst und nicht erst die Ladenöffnung einen beträchtlichen Besucherstrom auslöst, der die Zahl der Besucher bei alleiniger Öffnung der Verkaufsstellen übersteigt .Die gemeindliche Prognose unterliege zwar nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle; insbesondere dürfe das Gericht keine eigene Prognose vornehmen. Es habe jedoch zu prüfen, ob die bei Erlass der Rechtsverordnung über die Freigabe der Ladenöffnung vorgenommene Prognose schlüssig und vertretbar ist[18].

Diesen Anforderungen werde die von der Gemeinde angestellte Prognose hinsichtlich der Anziehungskraft des erstmals in Eching-Ost veranstalteten „Echinger Frühjahrsmarktes“ nicht gerecht[19]).

1.3.b) Wenn das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil ausführt, wie bei verfassungskonformer Auslegung die Tatbestandsvoraussetzung „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ zu verstehen sei[20] , so nimmt das Bundesverwaltungsgericht damit die ihm im Rahmen der Gewaltenteilung zustehenden Aufgaben und Kompetenzen wahr.

In dieser Hinsicht begegnet es keinen Bedenken, wenn in einem der dem Urteil voran gestellten Leitsätzen gesagt wird, die Zulässigkeit der Sonntagsöffnung setze regelmäßig voraus, dass die Ladenöffnung in engem räumlichen Bezug zum konkreten Marktgeschehen stehe und prognostiziert werden könne, dass der Markt für sich genommen einen beträchtlichen Besucherstrom anziehe, der die bei einer alleinigen Öffnung der Verkaufsstellen zu erwartende Zahl der Ladenbesucher übersteige.

Die Möglichkeit, dass etwas prognostiziert werden kann, ist kein konkretes Geschehen und ist dem Vorliegen einer Prognose nicht gleich zu setzen.

Wenn das Bundesverwaltungsgericht aber das Vorliegen einer von der Gemeinde konkret erstellten sachgerechten Prognose generell zur Voraussetzung für die Zulässigkeit der Freigabe-Verordnung zur Sonntagsöffnung macht, so fügt es den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen oder Anforderungen für den Erlass einer Freigabe-Verordnung eine neue Voraussetzung oder Anforderung hinzu. Eine solche Regelungstätigkeit dürfte für ein Gericht eher anomal sein[21].

Die vom Bundesverwaltungsgericht für erforderlich gehaltenen Prognosen begegnen auch Bedenken, was ihren Inhalt betrifft.

Das Bundesverwaltungsgericht macht geltend, dass die öffentliche Wirkung der Märkte, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen müsse. Die werktägliche Prägung der Ladenöffnung bleibe nur dann im Hintergrund, wenn nach der anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den der Markt für sich genommen auslöse, die Zahl der Besucher überstiege, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen[22]).

Die “werktägliche Prägung“ der Ladenöffnung ist indessen umso geringer, je mehr Besucher im Zusammenhang mit dem Markt über das an Werktagen übliche Maß hinaus die geöffneten Läden besuchen. Die Menge der Marktbesucher bei der Zulassung von Ausnahmen der Menge der Ladenbesucher gegenüber zu stellen,, erscheint bereits vom Ansatz her nicht richtig zu sein. Die geschäftige Betriebsamkeit von Kundengesprächen, Käufen und Verkäufen, Betätigung von Umsatzinteressen und Erwerbsinteressen ist sowohl für Märkte und Messen als auch für Verkaufsstellen wesentlich und prägend.

Grund für die Zulassung von Ausnahmen von dem Sonntagsverbot der Ladenöffnungen war ja gerade nach der über ein halbes Jahrhundert hin überwiegend vertretenen Auffassung des § 14 LadSchlG, dass der Markt oder die Messe einen beträchtlichen Besucherstrom anzieht, der es erwarten lässt, dass die Angebote der geöffneten Verkaufsstellen in einem beträchtlichen Maße in Anspruch genommen werden[23]. Weshalb das Bundesverwaltungsgericht mit dem Urteil vom 11.11.2015 diese Linie verlassen hat, ist nicht recht einsichtig.

Die in dem Urteil in Bezug genommenen Urteile des Bundesverfassungsgericht vom 9.6.2004 -1 BvR 636/02- BVerfGE 111,10 und vom 1.12.2009 -1 BvR 2857,2858/07- BVerfGE 125,39 sprechen nicht für die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene neue Auffassung. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse potentieller Käufer genügen nach diesen Urteilen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen zu rechtfertigen, sondern es bedarf dazu des Anlasses eines Marktes oder einer ähnlichen Veranstaltung, die eine beträchtlichen Besucherstrom anzieht. Wenn das dazu führt, dass eine viel größere Besuchermenge die geöffneten Läden aufsucht als an Werktagen üblich und auf der Kundenseite der Markt dazu führt, dass ein über das alltägliche “shopping-Interesse“ hinaus gesteigertes Erwerbsinteresse entsteht, so bleiben die im Zusammenhang mit dem Markt oder einer ähnlichen Veranstaltung zugelassenen Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar und laufen diese Ausnahmen nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinaus[24]. Der für eine Ausnahme erforderliche Sachgrund wird nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1.12.2009 nicht mit der Handlungsfreiheit von Ladenbesitzern und potentiellen Kunden abgewogen, sondern ergänzt diese als Gewicht bei der Abwägung mit dem Sonn- und Feiertagsschutz, ob eine Ausnahme gerechtfertigt sein könnte.

1.4.) Bedenken, ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 den allgemeinen juristischen Regeln entspricht, werden auch in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.5.2016 -22 N 15.1526- deutlich. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte in seinem Urteil vom 18.5.2016 auf Antrag einer Dienstleistungsgewerkschaft über die Gültigkeit der von der Stadt München im Mai 2015 zum Stadtgründungsfest nach § 14 LadSchlG erlassenen Freigabe-Verordnung zu befinden. In dem Urteil wird ausgeführt, eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs des Normgebers setze bei untergesetzlichen Vorschriften eine besonders ausgestaltete Bindung des Normgebers an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven voraus, wie sie etwa im Bauplanungsrecht bestünden. Fehlten solche gesetzliche Abwägungsdirektiven, könne die Rechtswidrigkeit einer Norm nicht mit Mängeln im Abwägungsvorgang begründet werden. Entscheidend sei alsdann allein, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspreche. Ob dies auch im vorliegenden Fall gelte, lasse der Verwaltungsgerichtshof offen. Offen bleiben könne daher auch, ob das im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 -8 CN 2.14- aufgestellte Erfordernis, wonach der Verordnungsgeber zusätzlich zur Beurteilung der Eigenattraktivität der anlassgebenden Veranstaltung im Sinn von § 14 Abs.1 Satz 1 LadSchlG eine Prognose über den zu erwartenden Zustrom ausschließlich kaufinteressierte Personen sowie allgemein über die Auswirkungen der Ladenöffnung auf den öffentlichen Charakter der betroffenen Sonntage anzustellen habe, als richterrechtliche entwickeltes Erfordernis angesehen werden müsse, das einer gesetzlichen Abwägungsdirektive gleichstehe[25].

 

  1. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu den Ladenöffnungsgesetzen

2.1.) Im Zuge der im Jahre 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform wurde die Zuständigkeit für die Ladenschlusszeiten vom Bund auf die Länder übertragen. In den folgenden Jahren haben alle Bundesländer, Bayern ausgenommen, Ladenöffnungsgesetze erlassen, die an die Stelle des Ladenschlussgesetzes getreten sind. In Bayern gilt weiterhin das vom Bund erlassene Gesetz über den Ladenschluss.

Die Ladenöffnungsgesetze bestimmen, fast alle in ihrem § 3, zu den allgemeinen Ladenschlusszeiten, dass Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kunden geschlossen sein müssen oder nicht geöffnet sein dürfen. Die an die Stelle des § 14 LadSchlG getretenen Bestimmungen zu Ausnahmen von dieser Regel entsprechen inhaltlich und strukturell mehr oder weniger der Regelung des § 14 LadSchlG. Sie enthalten keinen ausdrücklichen Bezug auf Besucher.

Die meisten der seit Anfang des Jahres 2016 veröffentlichten Entscheidungen von Verwaltungsgerichten zur Freigabe verkaufsoffener Sonntage beachten den vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 11.11.2015 -8 CN 2/14- zum Ladenschlussgesetz aufgestellten Satz, für die Freigabe verkaufsoffener Sonntage sei es regelmäßig erforderlich, dass nach einer von der Gemeinde als Verordnungsgeber anzustellenden Prognose der Besucherstrom zu dem Markt oder einer ähnlichen Veranstaltung die Zahl der Besucher übersteigt, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kommen.

2.2.a) Das Thüringer Oberverwaltungsgericht entschied mit Beschluss vom 07.03.2016 -3 EN 123/16- über den Antrag einer Gewerkschaft, eine Verordnung über das Offenhalten von Verkaufsstellen in Erfurt zu den Veranstaltungen “Tanz in den Mai“, “Japanisches Gartenfest“ und “Kinderspielfest“ außer Vollzug zu setzen.

Das Thüringer Ladenöffnungsgesetz vom 24.11.2006 (GVBl. 2006,541) bestimmt in § 10 ThürLadÖffG, dass an jährlich höchstens vier Sonn- und Feiertagen Verkaufsstellen aus besonderem Anlass geöffnet sein dürfen und dass diese Öffnungstage durch die Landkreise und die kreisfreien Städte im übertragenen Wirkungskreis durch Rechtsverordnung freigegeben werden.

Das Oberverwaltungsgericht setzte die Freigaben der Ladenöffnungen außer Vollzug, weil die gesetzliche Voraussetzung eines „besonderen Anlasses“„ nicht erfüllt sei[26]. Mit Bezug auf einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.12.1989 -1 B 153/89- und dessen Urteil vom 11.11.2015 -8 CN 2/14- wird ausgeführt, nur Veranstaltungen, die selbst einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen, könnten Anlass für eine Ladenöffnung geben; der Besucherstrom dürfe nicht umgekehrt erst durch die Offenhaltung der Verkaufsstellen ausgelöst werden. Zur Abschätzung der jeweiligen Besucherströme sei auf eine gemeindliche Prognose zurückzugreifen[27].

In dem Hauptsacheverfahren erklärte das Thüringer Oberverwaltungsgericht dann mit Urteil vom 22.09.2016 -3 N 182/16-, die Rechtsverordnung über das Offenhalten von Verkaufsstellen in Erfurt erfülle nicht die Voraussetzungen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs.1 ThürLadÖffG[28].

Der Verordnungsgeber habe sich im Vorfeld des Normerlasses zu vergewissern, wie sich die von ihm zugelassene Öffnung von Verkaufsstellen auf den Charakter der hiervon betroffenen Sonntage auswirken werde. Dies setze auch nach dem Thüringer Landesrecht jedenfalls voraus, dass der Verordnungsgeber über die weitere Frage, ob die Verkaufsöffnung überhaupt dem Anlass dienlich sei, hinaus zunächst auf Grundlage nachvollziehbarer tatsächlicher Annahmen- wie beispielsweise durch Befragungen, Auswertung vergangener Anlässe – prognostiziere, ob der besondere Anlass für sich genommen eine Besucherstrom erwarten lasse, der die Zahl der Besucher übersteige ,die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen[29].

Diese Prognose sei eine Normerlassvoraussetzung und nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle zugänglich; das Gericht könne insbesondere nicht eine eigene Prognose anstelle des Verordnungsgebers setzen. Zu prüfen sei jedoch, ob sie bei Erlass der Rechtsverordnung über die Freigabe der Ladenöffnung schlüssig und vertretbar sei[30]).

Gemessen an diesen Maßstäben könne die angegriffene Verordnung keinen Bestand haben. Ihr fehle bereits eine verwertbare Prognose der Antragsgegnerin[31].

2.2.b) Der Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 7.3.2016 -3 EN 123/16- hält sich noch einigermaßen im Fahrwasser der bis November 2015 zu § 14 LadSchlG vertretenen Auffassungen.

Anders dagegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 22.9.2016. Das Oberverwaltungsgericht übernimmt in diesem Urteil voll die vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 11.11.2015 -8 CN 2/14- vertretene Auffassung zu der Erforderlichkeit einer Prognose der Besuchermengen der Veranstaltung einerseits und der Ladenöffnungen andererseits.

Ausführungen in dem Urteil sprechen dafür, dass es sich bei der erforderliche Prognose um einen Teil der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs.1 ThürLadÖffG handelt[32]. Andere Ausführungen sprechen dafür, dass es sich bei der Prognose um die Voraussetzung für eine rechtmäßige Ausübung des Ermessens beim Erlass der Freigabe-Verordnung handelt[33]. Mit dem vom Oberverwaltungsgericht verwendeten Begriff “Normerlassvoraussetzung“ könnte beides gemeint sein.

Wenn die Freigabe-Verordnung zu ihrer Rechtmäßigkeit tatbestandsmäßig voraussetzen würde, dass eine prognostizierte Menge der Veranstaltungsbesucher die der Ladenbesucher voraussichtlich übersteigt, so müsste im Rechtsstreit das Gericht selbst eine solche Einschätzung vornehmen. Nach § 86 Abs.1 VwGO erforscht das Verwaltungsgericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heran zu ziehen, doch ist das Gericht an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden (§ 86 Abs.1 VwGO).

Einer der Falltypen, in denen der Verwaltung bei der Anwendung eines Gesetzes ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, liegt für die Prognose der Besuchermengen nicht vor; vielmehr soll die Prognose nach objektiven Umständen und realistischen Kriterien erstellt werden. Das Ladenöffnungsgesetz gibt zur Freigabe verkaufsoffener Sonntage den Gemeinden auch keinen Planungs- oder Gestaltungsauftrag, zu deren Ausführung, etwa wie in Bauleitplänen oder Bebauungssatzungen, Prognosen als verbindlich angesehen werden könnten.

Wenn die Prognose der Besuchermengen nicht bereits Voraussetzung der gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass der Freigabe-Verordnung ist, sondern erst Voraussetzung für eine sachgerechte Ausübung das mit dem Beschluss über die Freigabe-Verordnung auszuübenden Ermessens sein soll, so stellt die Prognose selbst doch keine Ermessensausübung dar.

Die Ausführungen im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 -8 CN 2.14- BVerwGE 153,183,190 und im Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 22.9.2016 -3 N 182/16- zur Verbindlichkeit und zur Einschränkung der Nachprüfbarkeit der gemeindlichen Prognosen halte ich deshalb für verfehlt.

Im übrigen hat das Oberverwaltungsgericht ausweislich der Urteilsgründe ungeachtet des Fehlens einer verwertbaren Prognose der Gemeinde festgestellt, dass aufgrund der sich aus den Akten zu entnehmenden Umstände in keinem Fall ein die Verkaufsöffnung rechtfertigender besonderer Sachgrund feststellen lasse[34].

 

2.3.a) Das an die Stelle des Ladenschlussgesetzes getretene Hessische Ladenöffnungsgesetz (vom 23.11.2006, GVBl. I S.606) bestimmt in § 6 Abs.1 HLÖG, dass die Gemeinden aus Anlass von Märkten, Messen, örtlichen Festen oder ähnlichen Veranstaltungen berechtigt sind, die Öffnung von Verkaufsstellen an jährlich bis zu vier Sonn- oder Feiertagen freizugeben. Nach § 6 Abs.2 HLÖG kann die Offenhaltung auf bestimmte Bezirke und Handelszweige beschränkt werden.

Die Stadt Frankfurt am Main gestattete mit Allgemeinverfügung vom 29.1.2016 die Öffnung der Verkaufsstellen in ihrem Stadtgebiet anlässlich der Musikmesse am Sonntag, den 10.4.2016, und ordnete den Sofortvollzug der Verfügung an. Eine Gewerkschaft und ein Verein der katholischen Arbeitnehmerbewegung legten gegen die Verfügung Widerspruch ein und beantragten, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main lehnte mit Beschluss vom 24.3.2016 -7 L 602/16.F- die Stoppanträge als unbegründet ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 6 HLÖG für die verfügte Freigabe seien erfüllt. Auch ohne das Offenhalten von Verkaufsstellen sei die Musikmesse interessant genug, einen beträchtlichen Besucherstrom anzuziehen[35].

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof stellte mit Beschluss vom 5.4.2016 -8 B 751/16- die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Freigabe-Verfügung vom 29.1.2016 wieder her. In den Gründen des Beschlusses heißt es, es könne dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 HLÖG für eine Öffnung von Verkaufsstellen vorlägen. Denn jedenfalls erweise sich die Gestattung der Sonntagsöffnung für den Bereich des gesamten Stadtgebietes und ohne Beschränkung auf bestimmte Handelszweige, für deren Öffnung an einem Sonntag anlässlich der Musikmesse ein sachlicher Grund bestehen könnte, bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, da diese Regelung an Ermessensfehlern leide[36]. Eine Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen mit unbeschränktem Warenangebot aus Anlass eines Marktes oder einer Messe sei nur zulässig, wenn die den öffentlichen Charakter des Tages prägende Wirkung einer solchen Veranstaltung gegenüber dem typisch werktäglichen Charakter der Ladenöffnung überwiege. Ein solches Überwiegen der prägenden Wirkung der Musikmesse könne das Beschwerdegericht angesichts der unbeschränkten Freigabe der Sonntagsöffnung auf sämtliche Handelszweige, noch dazu im gesamten Gebiet der Antragsgegnerin, nicht feststellen[37].

In seinem Beschluss vom 21.10.2016 -8 B 2618/16- zum Stopp der Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags anlässlich der Buchmesse führte der Hessische Verwaltungsgerichtshof, ähnlich wie bereits in seinem Beschluss zur Musikmesse, zunächst aus, dass die Frankfurter Buchmesse als anlassgebende Messe im Sinne von § 6 Abs.1 HLÖG zu einer Ladenöffnung berechtigen könne. Jedoch erweise sich die erfolgte Gestattung der Sonntagsöffnung für den Bereich des gesamten Stadtgebietes, lediglich unter Ausschluss einiger weniger Handelszweige wie zum Beispiel des Baustoffhandels, als offensichtlich fehlerhaft. Gemäß § 6 Abs.2 HLÖG liege es im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung, die Freigabe der Öffnung von Verkaufsstellen auf bestimmte Bezirke und Handelszweige zu beschränken[38].

Anders als in dem Beschluss vom 5.4.2016 zur Musikmesse heißt es dann aber in dem Beschluss vom 21.10.2016 zur Buchmesse wie folgt: „Das im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutz maßgebliche Ziel, einen vorherrschenden Eindruck einer typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung zu vermeiden, verlangt überdies in jedem Fall zusätzlich, das nach einer von der Behörde anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den die Veranstaltung für sich genommen auslöst, die Zahl der Besucher übersteigt, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen in den von der Öffnung erfassten räumlichen Bereich kämen“[39]. Die Ausdehnung der Ladenöffnung auf das gesamte Stadtgebiet sei nicht haltbar, denn die Antragsgegnerin habe keine Prognose über die zu erwartenden Besucherströme aufgestellt. Daher liege kein Anhaltspunkt für die Beurteilung vor, ob die Zahl der Buchmessebesucher die Zahl derjenigen Besucher übersteige, die allein wegen der Ladenöffnung im gesamten Stadtgebiet in dieses strömen würden[40].

2.3.b) Das Ausmaß zugelassener Ladenöffnungen davon abhängig zu machen, dass die Zahl der Veranstaltungsbesucher voraussichtlich die Zahl der Besucher übersteigt, die voraussichtlich ohne Interesse an der Veranstaltung wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen in den von der Öffnung erfassten räumlichen Bereich kommen, ist wohl ein geeignetes Mittel, um nach § 6 HLöG in Betracht kommende Freigaben und deren Ausmaß zu begrenzen.

Bei der Festlegung des Bereichs, für den die Freigabe der Ladenöffnungen gelten soll, hat die Gemeinde nicht nur den tatsächlichen Auswirkungsbereich der Veranstaltung zu beachten, sondern von vornherein auch zu bedenken, ob der freigegebene Bereich der erforderlichen Relation der Besuchermengen genügen würde oder aber eine übermäßige Ausnahme sein würde.

Dass die Gemeinden nach § 6 Abs.1 HLöG berechtigt sind, aus Anlass von Märkten, Messen, örtlichen Festen oder ähnlichen Veranstaltungen die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn-oder Feiertagen freizugeben, berechtigt sie nur zur Gewährung von Ausnahmen, die im Verhältnis zu der Anlass gebenden Veranstaltung nicht übermäßig sind. Durch eine Beschränkung der Offenhaltung auf bestimmte Bezirke und Handelszweige kann und hat die Gemeinde nach § 6 Abs.2 HLöG der geforderten Verhältnismäßigkeit zu genügen.

Dass aber die Gemeinde tatsächlich eine brauchbare Prognose zu den Besuchermengen erstellt, ist nicht Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs.1 HLöG. In Auslegung der von dem Hessischen Verwaltungsgerichthof im Beschluss vom 21.10.2016 so genannten “ermessenssteuernden“ Tatbestandsmerkmale für die Ermächtigung der Gemeinde zur Freigabe von Ladenöffnungen kann für die verfügte Freigabe zur Wahrung ihrer Verhältnismäßigkeit lediglich vorausgesetzt oder gefordert werden, dass realistisch prognostiziert werden kann, die Menge der Veranstaltungsbesucher werde voraussichtlich die Menge der Besucher übersteigen, die wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen in den von der Öffnung erfassten Bereich kommen.

 

2.4.a) Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen stellte auf Antrag einer Gewerkschaft hin mit Beschluss vom 10.6.2016 -4 B 504/16- durch einstweilige Anordnung fest, dass Geschäfte in Stadtbezirken der Stadt Velbert nicht an den Sonntagen geöffnet haben dürfen, die durch Rechtsverordnung der Stadt vom 15.12.2015 freigegebenen waren[41].

Die umstrittene Rechtsverordnung sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs.4 i.V.m. Abs.1 LÖG NRW nicht gedeckt[42]. Nach § 6 Abs.1 LÖG NRW dürften Verkaufsstellen aus Anlass von örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens vier Sonn- oder Feiertagen geöffnet sein. § 6 Abs.4 LÖG NRW ermächtige die zuständige örtliche Ordnungsbehörde dazu, die Tage nach Absatz 1 durch Rechtsverordnung freizugeben. Die Freigabe könne sich auf bestimmte Bezirke, Ortsteile und Handelszweige beschränken.

Die Antragsgegnerin habe die verfassungsrechtlich gebotenen und vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 11.11.2015 dargelegten Maßstäbe zur Freigabe von Ladenöffnungen an Sonn- und Feiertagen nicht beachtet. Sie habe keine nachvollziehbare Prognose darüber angestellt, ob die Märkte und Veranstaltungen, anlässlich derer im Jahre 2016 eine Sonntagsöffnung vorgesehen sei, so attraktiv sein würden, dass sie und nicht die am selben Tag gestattete Ladenöffnung den hauptsächlichen Grund für den Aufenthalt von Besuchern bieten würden[43]).

Es fehle nicht lediglich an der erforderlichen Prognose der jeweils erwarteten Besucherströme im Vergleich zu der Zahl der Kaufinteressenten. Vielmehr sei bereits bei summarischer Prüfung offensichtlich, dass die Verkaufsstellenöffnung schon wegen der breiten Werbung gerade für sie, vor allem aber wegen ihrer erheblichen räumlichen Ausdehnung auf ganze Stadtbezirke sowie der Einbeziehung aller Handelssparten und Warengruppen an keinem der vorgesehenen Sonntage wie erforderlich bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung sei[44].

 

Das Verwaltungsgericht Münster lehnte mit Beschluss vom 27.7.2016 -9 L 1099/16- den Anordnungsantrag einer Gewerkschaft ab auf Feststellung, dass Verkaufsstellen in einem Stadtbezirk von Münster anlässlich eines Weinfestes nicht aufgrund einer Verordnung der Stadt geöffnet sein dürfen. In den Gründen des Bescheides heißt es, das Besucheraufkommen werde bezogen auf den Bereich mit Sonntagsöffnungen maßgeblich von dem Veranstaltungsangebot des Winzerfestes ausgelöst. Der Eindruck einer typisch werktäglichen Geschäftstätigkeit der Ladenöffnung mit einem bloß wirtschaftlichen Umsatzinteresse der Ladeninhaber stelle sich für die betreffende Zeit für den beschriebenen räumlichen Bereich nicht ein. Bei diesen Sachgegebenheiten habe es einer weitergehenden, möglicherweise sogar extern und vorlaufend durchzuführenden “empirischen“ Erhebung zu den jeweiligen “Besucherströmen“ als Prognosegrundlage und Hilfsmittel der Abschätzung für den Rat der Stadt nicht bedurft[45].

Das Gericht könne aus der vom OVG NRW im Beschluss vom 10.6.2016 wiedergegebenen und mitgetragenen Beurteilung des BVerwG in seinem Urteil vom 11.11.2015 -8 CN 2.14- nicht ableiten, dass einer Entscheidung des Rates nach § 6 Abs.1 und 4 LÖG NRW stets und losgelöst vom Einzelfall aus Rechtsgründen eine empirische Befragung oder andere formalisierte Erhebungen vorauszugehen hätten, um eine rechtskonforme Entscheidung zu eröffnen. Je nach Fallsituation und den Erkenntnissen des Rates aus anderem Zusammenhang könne die Sachkunde des Rates für eine sachgerechte Abschätzung allein hinreichend sein[46] (Rdn.27).

Das Oberverwaltungsgericht änderte mit Beschluss vom 15.8.2016 -4 B 887/16- auf Beschwerde hin den Beschluss des VG Münster vom 27.7.2016 und stellte durch einstweilige Anordnung fest, dass die Verkaufsstellen nicht geöffnet sein dürfen.

In den Gründen des Beschlusses des OVG NRW heißt es, der Senat lasse offen, ob allein schon das vollständige Fehlen einer eigenen prognostischen Abschätzung der Stadt dazu, ob das Weinfest für den öffentlichen Charakter des betroffenen Sonntags prägend sein werde, weil es selbst und nicht erst die Ladenöffnung einen beträchtlichen Besucherstrom auslöse, der die Zahl der Besucher bei alleiniger Öffnung übersteige, die Rechtswidrigkeit und Ungültigkeit der umstrittenen Verordnungsbestimmung zur Folge habe. Davon wäre auszugehen, wenn es sich bei der zu treffenden gemeindlichen Prognose um eine zwingende Anforderung an den Normsetzungsvorgang handelte, die ungeachtet einer etwaigen Ergebnisrichtigkeit der jeweiligen Rechtsverordnung stets gewahrt sein müsste[47].

Hier habe auf eine solche Prognose jedenfalls deshalb nicht verzichtet werden können, weil nicht offenkundig sei, dass die gesetzlichen Anforderungen des § 6 Abs.1 LÖG NRW an eine anlassgebende Veranstaltung zumindest im Ergebnis eingehalten seien[48].

2.4.b) Die Freigabe verkaufsoffener Sonntage nach dem LÖG NRW erfolgt nicht wie in Hessen durch Allgemeinverfügungen, sondern durch ordnungsbehördliche Verordnungen. Es ist Sache der Verwaltungsgerichte zu ermitteln und darüber zu befinden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 6 LÖG NRW für die erlassene Freigabe-Verordnung erfüllt sind, und das Gericht hat in diesem Zusammenhang auch den Inhalt von Rechtsbegriffen und Rechtssätzen zu bestimmen und auszufüllen. Auch ist es Sache des Gerichts, darüber zu befinden, ob die Verordnung wirksam erlassen wurde und ob sie inhaltlich mit höherrangigen Rechtsnormen in Widerspruch steht. Dagegen ist es nicht Sache des Gerichts, die Ausübung des Ermessens des Verordnungsgebers zu regeln und ohne besondere gesetzliche Ermächtigung den Verordnungsgeber zu bestimmten Ermittlungen und Prognosen zu verpflichten. Damit stimmt überein, dass es in § 9 Abs.5 des Ordnungsbehördengesetzes NRW heißt, dass sich das Weisungsrecht der Aufsichtsbehörden nicht auf den Erlass ordnungsbehördlicher Verordnungen erstreckt, und dass die Regelung des § 16 des Ordnungsbehördengesetzes NRW, dass die Ordnungsbehörden ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen treffen, in dem Abschnitt zu Ordnungsverfügungen, nicht aber in dem Abschnitt zu ordnungsbehördlichen Verordnungen steht.

 

2.5.a) Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg lehnte mit Beschluss vom 26.10.2016 -6 S 2041/16- den Antrag einer Gewerkschaft auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Satzungen der Stadt Sindelfingen ab, mit denen die Stadt anlässlich eines Kinderfestes einen verkaufsoffenen Sonntag bestimmte. Auch wenn sich die Satzungen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 -8 CN 2/14- BVerwGE 153,183 wegen des Fehlens der erforderliche Prognose zu Besucherströmen voraussichtlich als rechtswidrig erweisen dürften, so lasse der Vollzug der Freigabesatzungen doch keine Nachteile befürchten, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig seien, dass eine vorläufige Regelung unaufschiebbar sei[49].

Der Senat gehe dabei im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht weiter der Frage nach, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 01.12.2009 (1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07, BVerfGE 125, 39) die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommeine „weitergehende“ verfassungskonforme Einschränkung des Anwendungsbereichs der Ladenöffnungsregelungen an Sonntagen erfordere. Es bestünden nach derzeitigem Erkenntnisstand gewisse Zweifel, ob diese vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene enge „verfassungskonforme“ Auslegung den Vorgaben im Urteil des Bundesverfassungsgerichts entspreche. Jenes fordere allein ein Schutzkonzept mit einem Mindestschutzniveau und die Einhaltung eines Regel-/Ausnahmeverhältnisses, während das Bundesverwaltungsgericht eine Verknüpfung einer anderen Veranstaltung mit der Ladenöffnung in Gestalt einer (überwiegenden) Gleichwertigkeitsprognose verlange[50].

2.5.b) Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hält die vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 11.11.2015 vertreten Auffassung zur Prognose von Besuchermengen für maßgebend, obwohl er Zweifel hat, ob die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts gemachten Vorgaben entspricht. Das erstaunt; denn bei dem Gesetz über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg handelt es sich um ein Landesgesetz. Über Fragen des Landesrechts hat das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht zu entscheiden, sondern da ist der Verwaltungsgerichtshof letzte Instanz.

Die von dem Bundesverwaltungsgericht geforderte Relation zwischen der Menge von Veranstaltungsbesuchern einerseits und der Menge von Kaufinteressierten andererseits mag einer verfassungskonformen Auslegung des § 14 LadSchlG entsprechen, wird aber von dem verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutz nicht geboten.

In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1.12.2009 -1 BvR 2857,2858/07- BVerfGE 125,39 werden Veranstaltungen, die einen für die Ausnahme erforderlichen Sachgrund bieten, nicht der Handlungsfreiheit von Ladenbesitzern und potentiellen Kunden entgegen gestellt. Dass Ausnahmen – wie es in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt – als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben müssen und nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinauslaufen dürfen, führt nicht, jedenfalls nicht zwingend, zu der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts selbst sagt nichts zu irgendwelchen Besuchermengen und deren Prognose.

Über die Auslegung des in Bayern als Bundesrecht fortgeltenden Ladenschlussgesetzes hat das Bundesverwaltungsgericht maßgebend zu befinden. Das Gericht überschreitet aber seine Kompetenz und trifft dem Gesetzgeber vorbehaltene Regelungen, wenn es für die Zulässigkeit der Sonntagsöffnung das Vorliegen einer von der Gemeinde konkret erstellten Prognose voraussetzt oder fordert.

 

[1] BayVGH Urt.v.6.12.2013 -22 N 13.788- BayVBl.2014,364; juris

[2] BayVBl.2014,369; juris Rn. 69

[3] BayVBl. 2014,369; juris Rn. 71

[4] vgl.: Theiß Ladenschlussgesetz 1991, § 14 LadSchlG Rn.2,3; Schunder, in Stober Ladenschlussgesetz 4.Aufl.      2000, § 14 Rn.4

[5] BVerwG Beschl. v. 6.3.2003 -6 BN 9.02- GewArch 2003,262,263

[6] AllMBl. 2004 S.621

[7] OVG Lüneburg Urt.v.21.4.2005 -7 KN 273/04- juris Rn.27

[8] vgl.: Eyermann/Schmidt VwGO, 14.Aufl. 2014, § 47 VwGO Rn. 31,92; Redeker-von Oertzen VwGO, 16.Aufl. 2014, § 47 VwGO Rn. 21; Schenke VwGO, 22.Aufl. 2016, § 47 VwGO Rn. 112,117,120; Ziekow in Sodan/Ziekow VwGO, 4.Aufl. 2014, § 47 VwGO Rn. 353

[9] AllMBl.2004 S.621 Nr.1

[10] BayVGH Urt.v.31.3.2011 -22 BV 10.2367- juris Rn.15

[11] vgl.: § 6 Abs.1 der bayerischen Verordnung vom 2.12.1998 über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes, GVBl. 1998 S.956,958; § 11 der bayerischen Delegationsverordnung vom 28.1.2014, GVBl. 2014,22

[12] BVerwG Urt.v.11.11.2015 – 8 CN 2.14- BVerwGE 153,183; GewArch 2016,154

[13] BVerwGE 153,187 Rn. 20

[14] BVerwGE 153,187 Rn. 22

[15] BVerwGE 153,188 Rn.23

[16] BVerwGE 153,189 Rn. 24

[17] BVerwGE 153,189 Rn. 25

[18] BVerwGE 153,190 Rn. 36

[19] BVerwGE 153,191 Rn. 37

[20] BVerwGE 153,188,189 Rn. 23,24

[21] vgl. BayVGH Urt.v. 18.5.2016 -22 N 15.1526 juris Rn. 38

[22] BVerwGE 153,189 Rn. 24,25

[23] vgl. BVerwG Beschl. v. 6.3.2003 -6 BN 9.02- GewArch 2003,262,263

[24] vgl. BVerfGE 125,87, juris Rn. 157

[25] BayVGH Urt.v.18.5.2016 -22 N 15.1526- juris Rn.38

[26] ThürOVG Beschl.v.7.3.2016 S. 7; juris Rn. 20,26

[27] ThürOVG Beschl. v. 7.3.2016 S.8,9; juris Rn.25

[28] ThürOVG Urt.v. 22.9.2016 S.9; juris Rn. 41

[29] ThürOVG Urt.v.22.9.2016 S.13; juris Rn. 53

[30] ThürOVG Urt.v.22.9.2016 S.13; juris Rn. 54

[31] ThürOVG Urt.v.22.9.2016 S.13 juris Rn. 55,56

[32] ThürOVG Urt.v. 22.9.2016 S.9; juris Rn. 41

[33] ThürOVG Urt.v.22.9.2016 S.13,14; juris Rn. 53,58

[34] ThürOVG Urt.v.22.9.2016 S.14/15; juris Rn.56,61

[35] VG Frankfurt a.M. Beschl. v.24.3.2016 Seite 3; www.lareda.hessenrecht.hessen.de

[36] VGH Hessen Beschl.v.5.4.2016 Rn. 25

[37] VGH Hessen Beschl.v.5.4.2016 Rn.33

[38] VGH Hessen Beschl. v. 21.10.2016 Seite 2 www.lareda.hessenrecht.hessen.de

[39] VGH Hessen Beschl. v.21.10.2016 Seite 2 www.lareda.hessenrecht.hessen.de

[40] VGH Hessen Beschl. v. 21.10.2016 Seiten 2/3 www.lareda.hessenrecht.hessen.de

[41] OVG NW Beschl.v.10.6.2016 NWVBl. 2016,513; Justiz-online NRWE

[42] OVG NW Beschl.v.10.6.2016 NWVBl. 2016,515; Justiz-online NRWE Rn. 35

[43] OVG NW Beschl.v.10.6.2016 NWVBl. 2016,515/516 ; Justiz-online NRWE Rn. 39-43

[44] OVG NW Beschl.v. 10.6.2016 NWVBl. 2016,516; Justiz-online NRWE Rn. 49

[45] VG Münster Beschl.v.27.7.2016 juris Rn.25

[46] VG Münster Beschl.v.27.7.2016 juris Rn.27

[47] OVG NW Beschl. v. 15.8.2016 juris Rn. 41

[48] OVG NW Beschl. V.15.8.2016   juris Rn. 43

[49] VGH BW Beschl.v.26.10.2016 juris Leitsatz und Rn. 13

[50] VGH BW Beschl.v.26.10.2016 juris Rn. 9

Ermittlungsverfahren gegen den Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Börse AG wegen Insiderhandel

 

Die Nachricht von Razzien der Staatsanwaltschaft bei der Deutschen Börse und dem Privatwohnsitz ihres Vorstandsvorsitzenden wegen verbotener Insidergeschäfte schockiert auf den ersten Blick und hat hohe Wellen aufgeworfen. Insidergeschäfte im „Tempel“ des Kapitalmarkts ? Der Aufsichtsratsvorsitzende der Börse hat die Vorwürfe als absolut unbegründet zurückgewiesen. Auf den zweiten Blick könnten Unterschiede zwischen deutschem und europäischen Insiderrecht und Unsicherheiten über deren Interpretation und Wirksamkeit die unterschiedlichen Einschätzungen erklären.

 

Nachstehende Ausführungen maßen sich von „außen her“ keine Beurteilung der Rechtlage an, können vielleicht aber zu einem Verständnis beitragen, warum in einer so schwerwiegenden Frage zwischen einem gut geführten Unternehmen, redlichen Beteiligten, Staatsanwaltschaft und Aufsichtsbehörden so erhebliche Beurteilungsunterschiede entstehen konnten. Für die präventiv ausgerichtete Compliance-Gestaltungspraxis sollte deshalb generell der Grundsatz gelten, einen Sicherheitsabstand zur Bahnsteigkante vorzusehen, selbst wenn das mit einem Verzicht auf rechtliche Interpretationsmöglichkeiten verbunden sein sollte.

 

 

  1. Der Sachverhalt:

 

Die Ad-hoc Mitteilung der Deutsche Börse AG lautet wie folgt:
„Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat heute bei der Deutsche Börse

AG wegen des Aktienerwerbs ihres Vorstandsvorsitzenden am 14. Dezember 2015

zur Umsetzung des vom Aufsichtsrat der Gesellschaft beschlossenen, neuen Vorstandsvergütungsprogramms ermittelt. Das Programm sieht ein Eigeninvestment des Vorstands in das Unternehmen vor. Das Unternehmen und der Vorstandsvorsitzende kooperieren in vollem Umfang mit der Staatsanwaltschaft.“
In der Presse wird erläuternd ausgeführt:

„Offenbar soll der Börsenchef Aktien des eigenen Unternehmens gekauft haben, als er schon von der geplanten Fusion mit der Londoner Börse wusste. Kengeter habe die Anteile am 14. Dezember 2015 im Rahmen des neuen Vorstandsvergütungsprogramms des Konzerns erworben, das Investments des Führungsgremiums in das Unternehmen vorsehe. Kengeter kaufte an dem Tag 60 000 Aktien im Wert von insgesamt 4,5 Millionen Euro, wie aus öffentlichen Unterlagen der Deutschen Börse hervorgeht“ (Bild Zeitung).

 

  1. Die rechtliche Ausgangslage

2.1. § 14 WPHG alter Fassung (aufgehoben durch Artikel 1 G. vom 30.06.2014)

 

Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WPHG lautete das Insiderverbot wie folgt:
„ Es ist verboten, unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung zu erwerben.“

 

Hierunter konnte man verstehen, dass der Insider aufgrund oder wegen der Insiderinformation gehandelt haben müsse, also durch die Insiderinformation zum Erwerb veranlasst worden sei. Dies entsprach auch dem überwiegenden Verständnis in der früheren deutschen Literatur. Im Emittentenleitfaden von 2005 hatte die BAFin formuliert:

 

„III. 2.2.1.2 Verwendung von Insiderinformationen

Der Erwerb oder die Veräußerung eines Insiderpapiers erfüllt nur dann den Verbotstatbestand, wenn Insiderinformationen verwendet werden. Der Insider verwendet Insiderinformationen, wenn er in Kenntnis der Insiderinformation handelt und dabei die Information in sein Handeln mit einfließen lässt“.

 

und dann in Bezug auf Mitarbeiterprogramme in III. 2.2.1.3 unter der Überschrift „Zeitpunkt der Kenntnis“ in vorsichtig unklarer Weise weiter ausgeführt:

 

„Ähnlich sind auch Mitarbeiterprogramme zu bewerten. Werden dem Mitarbeiter nach Ablauf des Programms „automatisch“ die Aktien oder Optionen in sein Depot eingebucht oder die Gewinne aus dem virtuellen Optionsprogramm überwiesen, so handelt der Mitarbeiter im Moment der Gutschrift nicht i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Selbst wenn er in diesen Moment die Insiderinformation besäße, wäre dies für das Verbot von Insidergeschäften unbeachtlich. Anders ist dies für den Zeitpunkt der Teilnahme an einem Aktienprogramm zu beurteilen. Verfügt ein Mitarbeiter im Zeitpunkt der Abgabe der Teilnahmeerklärung über eine Insiderinformation und ist diese zumindest Teil seiner Motivation an dem Programm teilzunehmen, verwendet er die Insiderinformation i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG“.
Gleiches gilt, wenn sich ein Marktteilnehmer ohne Kenntnis einer Insiderinformation gegenüber einem anderen zum Verkauf einer bestimmten Menge Aktien zu einem bestimmten Termin und einem festgelegten Preis verpflichtet, ohne über die Aktien zu verfügen. …Aufgrund der bereits eingegangenen rechtlichen Verpflichtung zur Veräußerung der bestimmten Menge Aktien zu einem bestimmten Termin ist es für den Veräußerer unschädlich, wenn er nach Abschluss des Vertrages, aber vor dem Erwerb der Aktien zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit, Insiderinformationen erhält.

 
2.2. Die EU- Marktmissbrauchsverordnung Nr. 596/2014 – objektivierter Verbotstatbestand und dessen Einschränkung durch Tatbestände für „Legitime Handlungen“

 

Demgegenüber formuliert die Europäische Marktmissbrauchsrichtlinie Nr. 596/2014 das Insiderverbot objektiver und definiert bereits den Erwerbstatbestand als verbotene Nutzung.
„Für die Zwecke dieser Verordnung liegt ein Insidergeschäft vor, wenn eine Person über Insiderinformation verfügt und unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung……“

 

Im Englischen und Französischen Text wird der Unterschied deutlicher:
„…insider dealing arises where a person possesses inside information and uses that information by acquiring or disposing of,

 

„…une opération d’initié se produit lorsqu’une personne détient une information privilégiée et en fait usage en acquérant ou en cédant,

 

In Art 9 „Legitime Handlungen“ macht die Marktmissbrauchsverordnung dann Einschränkungen, um die Folgen dieses weiten Insiderverbotstatbestands zu begrenzen. Für den hier zugrundeliegenden Sachverhalt kommt nur Art. 9 Abs. 3 in Betracht. Andere „legitime Handlungen“, die für den Sachverhalt einschlägig sein könnten, werden nicht genannt.

(Abs.3) Für die Zwecke der Artikel 8 und 14 wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist, nicht angenommen, dass sie diese Informationen genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insidergeschäfte getätigt hat, wenn diese Person ein Geschäft zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten tätigt, das in gutem Glauben und nicht zur Umgehung des Verbots von Insider­geschäften durchgeführt wird, um einer fällig gewordenen Verpflichtung nachzukommen, und wenn …

In der EU-Richtlinie Marktmissbrauchsrichtlinie 2014/57 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie) heißt es hierzu kurz und bündig:

„Artikel 3

Insider-Geschäfte, Empfehlung an Dritte oder Anstiftung Dritter zum Tätigen von Insider-Geschäften

….

(2)   Für die Zwecke dieser Richtlinie liegt ein Insider-Geschäft vor, wenn eine Person über Insider-Informationen verfügt und unter Nutzung dieser Informationen für eigene oder fremde Rechnung unmittelbar oder mittelbar Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert.

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(8)   Für die Zwecke dieses Artikels wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist oder war, nicht angenommen, dass sie diese Informationen genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insider-Geschäfte getätigt hat, wenn ihre Handlungen nach Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 als rechtmäßig gelten.“

 

2.3. Flexibilisierung des Insiderverbotes für Geschäfte von Führungskräften im Rahmen von Vergütungsprogrammen. (Ergänzungen der Marktmissbrauchsverordnung durch die DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2016/522 DER KOMMISSION vom 17. Dezember 2015 )

 

Demzufolge würden nach EU- Insiderrecht Aktienkäufe im Rahmen eines Vergütungsprogramms, das keine rechtliche Kaufverpflichtung enthält, zu einem Zeitpunkt, in dem der Käufer über Insiderinformationen verfügte, verbotene Insidergeschäfte darstellen. Allerdings flexibilisiert die Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 dieses Verbot mit den Erwägungsgründen 22 bis 24 in Artikel 9 „Merkmale des Handels während eines geschlossenen Zeitraums“. Der Emittent kann Geschäfte von Führungskräften im festgelegten Rahmen von und zur Ausübung von Mitarbeiterbeteiligungs- oder Vergütungsprogrammen auch während der geschlossenen Periode (ein Zeitraum vor Veröffentlichung von Bilanzzahlen) genehmigen. Ob diese Möglichkeit nur während des geschlossenen Zeitraums oder auch darüber hinaus bei Vorliegen von Insiderinformationen gelten soll, bleibt abzuwarten.

 

2.1.3. Zur Rechtslage in Deutschland im Dezember 2015

Im Dezember 2015 war der alte § 14 Abs. 1 Nr. 1WpHG noch als nationales Recht in Kraft. Die EU Marktmissbrauchsverordnung war zu diesem Zeitpunkt zwar schon verabschiedet, trat aber – unabhängig von der grundsätzlich unmittelbaren Geltung von EU-Verordnungen gegenüber Emittenten und Marktteilnehmern – erst am 3. Juli 2016 in Kraft.

Black Friday

„Black Friday“ mit Folgekosten

 

In den USA wird das Weihnachtsgeschäft mit der Rabattaktion „Black Friday“ eingeläutet. Dort winken satte Rabatte für Kunden und den Händlern ein Absatzschub. In Deutschland winken den Händlern hingegen satte Abmahnkosten. Die Black Friday GmbH, beziehungsweise die Super Union Holdings Ltd. ließen sich „Black Friday“ als Marke für Deutschland seit 2013 schützen. Ein Händler, der den „Black Friday“ also zu Werbe- und Marketingzwecken –also hier aus der Sicht des Markeninhabers „rechtswidrig im Verkehr“- nutzt, kann mit einer Abmahnung des Markeninhabers rechnen.

 

Gegen die Deutsche Wortmarke „Black Friday“ der Super Union Holdings Ltd.
(DPMA Nr. 302013057574, Stand 24.11.2016) sind zwar bis heute fünf Löschungsanträge (wegen Nichtigkeit der Marke) eingegangen. Davon ist jedoch der erste Antrag zurück genommen worden und die anderen Antragsverfahren sind noch nicht entschieden. Die Löschungsanträge stützen sich allem Anschein nach auf die Löschungsgründe wie „Freihaltebedürfnis“ des Begriffes für den Markt oder dessen fehlenden „Unterscheidungskraft“ als Marke. Da die Laufenden Verfahren dieses Jahr eingingen, besteht eine nicht unbeachtliche Wahrscheinlichkeit, dass diese deutsche Marke nächstes Jahr nicht mehr für solche Abmahnungen dienen wird. Es läuft parallel jedoch schon eine neue ähnliche Markenanmeldung für „Black Friday Sale Caution“ seit dem 30.11.15. Anmelderin ist hier die Black Friday GmbH selbst. Diese neue Markenanmeldung setzt zusätzlich auf Bildelemente, um mögliche Schutzhindernisse zu überwinden. Sollte diese Markenanmeldung Erfolg haben, gilt sie für das gesamte EU-Gebiet.

 

Wie geht der Markt damit um?

 

Ein Unternehmen welches Bezug auf den „Black Friday“ als Ereignis nehmen möchte, kann dies innerhalb enger Grenzen weiterhin in Deutschland tun, solange die Darstellung nicht als sogenannte „kennzeichenmäßige Verwendung“ zu werten ist. Demnach ist erlaubt, die Worte „Black Friday Sale“ oder „Black Friday“ als HINWEIS darauf zu verwenden, dass der Händler an dem Ereignis des „Black Friday“ teilnimmt. Sobald die Worte „Black Friday“ allerdings schlagwortartig oder sogar als Produkt- oder Servicebezeichnung verwendet werden, wird dies als „kennzeichenmäßige Verwendung“ und damit als Markenverletzung gewertet werden. Ein schmaler Grad also.

 

Es bleibt zudem abzuwarten, ob sich in Zukunft weitere Händler gegen die Monopolisierungsversuche dieses Begriffes wehren. Bereits vier Konkurrenten haben die Möglichkeit des Löschungsantrages bezüglich der Marken „Black Friday …“ genutzt. Die Frist für solche Anträge beträgt 10 Jahre lang nach Eintragung der Betroffenen Marke.

Rückzahlung von Kreditbearbeitungsgebühren für Privatdarlehen

Der BGH hat entschieden – Chancen für Verbraucher – Compliance Test für Banken –

Im Mai 2014 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Bearbeitungsgebühren für Privatdarlehen (nicht für Bauspar- oder Hypothekendarlehen) unberechtigt erhoben worden sind und insoweit ein Rückzahlungsanspruch besteht. Fraglich war noch, ob der Rückzahlungsanspruch für unberechtigt erhobene Bearbeitungsgebühren in 3 oder in 10 Jahren verjährt. In seinen den Entscheidungen Az XI ZR 348/13 und 17/14 spricht sich der Bundesgerichtshof nunmehr für die 10 jährige Verjährungsfrist aus.

Damit können private Kreditnehmer Bearbeitungsgebühren für Privatdarlehen, die nach Januar 2004 berechnet worden sind, grundsätzlich von ihrem Kreditinstitut zurück-verlangen.

Kreditinstitute müssen bei Führung ihrer Geschäfte die hierzu bestehenden rechtlichen Vorgaben einhalten. Hierzu gehört auch die Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, d.h. die Erfüllung der Rückzahlungsverpflichtung für unberechtigt erhobene Bearbeitungsgebühren.

Der Compliance Beauftragte des Kreditinstituts ist aufgrund von Vorgaben der Bankenaufsicht verpflichtet, dies zu kontrollieren und – wenn unberechtigt erhobene Bearbeitungsgebühren nicht zurückgezahlt werden –  über die Geschäftsleitung für die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben Sorge zu tragen.

Damit können Kreditnehmer ihr Kreditinstitut auffordern, erhobene Bearbeitungs-gebühren für Privatdarlehen ab 2004 bis zum Jahresende zurückzuzahlen bzw. Vorschläge für deren Rückzahlung zu unterbreiten. Kommt ein Kreditinstitut dieser Anforderung nicht nach, empfiehlt sich, bis zum Jahresende einen entsprechenden Mahnbescheid gegen das Kreditinstitut zu erwirken.

Widerspricht das Kreditinstitut einem solchen Mahnbescheid routinemäßig, um ehemalige Kreditnehmer zur Klageerhebung zu zwingen und damit erfahrungsgemäß einen erheblichen Teil von weiteren Schritten abzuschrecken, steht die Beschwerde an den Compliance Officer und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen offen. In diesem Rahmen kann dann geklärt werden, ob das Verhalten des Kreditinstituts durch besondere Umstände im Einzelfall gerechtfertigt ist oder eine generelle, bewusste Verletzung der Geschäftsführungspflichten des Kreditinstituts vorliegt.

Merger & Acquisition – Anti-Korruptionspflichten und Haftung bei Übernahmen.

Das jüngste FC’PA Opinion Procedure Release des U.S. Justizministeriums
(Department of Justice No.: 14-02 Date: November 7, 2014 Foreign Corrupt Practices Act Review, Opinion Procedure Release, siehe hierzu auch Jesse Heath in Global Compliance News, Baker & Mc Kenzie)

Anfragender ist ein U.S. Unternehmens, das eine ausländische Gesellschaft erwerben will. Die Pre-acquisition Due Diligence Maßnahmen des Übernehmers führten nach Analyse von 1300 Transaktionen unter anderen zur Auflistung korruptionsnaher Zahlungen in Höhe USD 100.000. Ansatzpunkte für eine U.S. Zuständigkeit (U.S. Emittent, domestic concern, Mitwirkung von U.S. Staatsbürgern) lagen nicht vor.

Das DOJ stellt fest:

  • Der Übernehmer haftet grundsätzlich als Rechtsnachfolger für die bestehenden
    straf- und zivilrechtlichen Verantwortlichkeiten der übernommenen Gesellschaft.
  • Allerdings begründet allein die Übernahme keine solchen Verantwortlichkeiten.
  • Die Verstöße der Zielgesellschaft begründen mangels U.S. jurisdiction keine U.S. liability und daher auch keine U.S. Verantwortlichkeit des Übernehmers.
  • Der Übernehmer hat Angabe gemäß keine Vermögenswerte der Zielgesellschaft übernommen, die auf korrupten Aktivitäten beruhen und profitiert nicht von solchen Verträgen. Daher haftet er für deren Verhalten nicht unter dem Gesichtspunkt der „tainted asset liability“- Theorie.
  • Schließlich „ermutigt“ das DOJ Übernehmer zu den folgenden Maßnahmen und erklärt, dass es diese bei Prüfung einer Post-Acquisition-Verantwortlichkeit für mutmaßliche Rechtsverletzungen des übernommenen Unternehmens mit in seine Überlegungen einbeziehen würde:
    • Gründliche FCAP und Anti-Korruptions Due Diligence,
    • möglichst schnelle Einführung des eigenen Code of Conduct und der eigenen Anti-Korruptionsrichtlinie,
    • FCPA- Trainings für die Führungskräfte und Mitarbeiter des übernommenen Unternehmens und dessen Dritt-Vertriebs- und Geschäftspartner,
    • Möglichst schneller FCPA-Audit bei der übernommenen Gesellschaft,
    • Offenlegung aller im Rahmen des Due-Diligence Prozesses entdeckter korrupter Zahlungen an das DO.

     

Die Stellungnahme zeigt – wie schon der gemeinsame DOJ und SEC Veröffentlichung „ A Resource Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act“ von November 2012 – erneut wie nachhaltig konsequent und gleichzeitig pragmatisch zweckorientiert U.S.-Behörden die Anti-Korruption-Pflichten von Unternehmen sehen. Die grundsätzliche Linie (Übergang der Compliance – Verantwortlichkeit von der Zielgesellschaft auf den Übernehmer, Möglichkeit zur Entlastung durch genaue Due-Diligence vor und nach der Akquisition, Einführung eines wirksamen Compliance Management Systems unter Offenlegung festgestellter Verstöße an die Behörden und gegebenenfalls Verzicht auf erworbene unrechtmäßige Vorteile) kann auch ein Vorbild für Deutschland und im Rahmen des kommenden ISO-Anti-Korruptionsstandards sein.