Ermittlungsverfahren gegen den Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Börse AG wegen Insiderhandel

 

Die Nachricht von Razzien der Staatsanwaltschaft bei der Deutschen Börse und dem Privatwohnsitz ihres Vorstandsvorsitzenden wegen verbotener Insidergeschäfte schockiert auf den ersten Blick und hat hohe Wellen aufgeworfen. Insidergeschäfte im „Tempel“ des Kapitalmarkts ? Der Aufsichtsratsvorsitzende der Börse hat die Vorwürfe als absolut unbegründet zurückgewiesen. Auf den zweiten Blick könnten Unterschiede zwischen deutschem und europäischen Insiderrecht und Unsicherheiten über deren Interpretation und Wirksamkeit die unterschiedlichen Einschätzungen erklären.

 

Nachstehende Ausführungen maßen sich von „außen her“ keine Beurteilung der Rechtlage an, können vielleicht aber zu einem Verständnis beitragen, warum in einer so schwerwiegenden Frage zwischen einem gut geführten Unternehmen, redlichen Beteiligten, Staatsanwaltschaft und Aufsichtsbehörden so erhebliche Beurteilungsunterschiede entstehen konnten. Für die präventiv ausgerichtete Compliance-Gestaltungspraxis sollte deshalb generell der Grundsatz gelten, einen Sicherheitsabstand zur Bahnsteigkante vorzusehen, selbst wenn das mit einem Verzicht auf rechtliche Interpretationsmöglichkeiten verbunden sein sollte.

 

 

  1. Der Sachverhalt:

 

Die Ad-hoc Mitteilung der Deutsche Börse AG lautet wie folgt:
„Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat heute bei der Deutsche Börse

AG wegen des Aktienerwerbs ihres Vorstandsvorsitzenden am 14. Dezember 2015

zur Umsetzung des vom Aufsichtsrat der Gesellschaft beschlossenen, neuen Vorstandsvergütungsprogramms ermittelt. Das Programm sieht ein Eigeninvestment des Vorstands in das Unternehmen vor. Das Unternehmen und der Vorstandsvorsitzende kooperieren in vollem Umfang mit der Staatsanwaltschaft.“
In der Presse wird erläuternd ausgeführt:

„Offenbar soll der Börsenchef Aktien des eigenen Unternehmens gekauft haben, als er schon von der geplanten Fusion mit der Londoner Börse wusste. Kengeter habe die Anteile am 14. Dezember 2015 im Rahmen des neuen Vorstandsvergütungsprogramms des Konzerns erworben, das Investments des Führungsgremiums in das Unternehmen vorsehe. Kengeter kaufte an dem Tag 60 000 Aktien im Wert von insgesamt 4,5 Millionen Euro, wie aus öffentlichen Unterlagen der Deutschen Börse hervorgeht“ (Bild Zeitung).

 

  1. Die rechtliche Ausgangslage

2.1. § 14 WPHG alter Fassung (aufgehoben durch Artikel 1 G. vom 30.06.2014)

 

Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WPHG lautete das Insiderverbot wie folgt:
„ Es ist verboten, unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung zu erwerben.“

 

Hierunter konnte man verstehen, dass der Insider aufgrund oder wegen der Insiderinformation gehandelt haben müsse, also durch die Insiderinformation zum Erwerb veranlasst worden sei. Dies entsprach auch dem überwiegenden Verständnis in der früheren deutschen Literatur. Im Emittentenleitfaden von 2005 hatte die BAFin formuliert:

 

„III. 2.2.1.2 Verwendung von Insiderinformationen

Der Erwerb oder die Veräußerung eines Insiderpapiers erfüllt nur dann den Verbotstatbestand, wenn Insiderinformationen verwendet werden. Der Insider verwendet Insiderinformationen, wenn er in Kenntnis der Insiderinformation handelt und dabei die Information in sein Handeln mit einfließen lässt“.

 

und dann in Bezug auf Mitarbeiterprogramme in III. 2.2.1.3 unter der Überschrift „Zeitpunkt der Kenntnis“ in vorsichtig unklarer Weise weiter ausgeführt:

 

„Ähnlich sind auch Mitarbeiterprogramme zu bewerten. Werden dem Mitarbeiter nach Ablauf des Programms „automatisch“ die Aktien oder Optionen in sein Depot eingebucht oder die Gewinne aus dem virtuellen Optionsprogramm überwiesen, so handelt der Mitarbeiter im Moment der Gutschrift nicht i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Selbst wenn er in diesen Moment die Insiderinformation besäße, wäre dies für das Verbot von Insidergeschäften unbeachtlich. Anders ist dies für den Zeitpunkt der Teilnahme an einem Aktienprogramm zu beurteilen. Verfügt ein Mitarbeiter im Zeitpunkt der Abgabe der Teilnahmeerklärung über eine Insiderinformation und ist diese zumindest Teil seiner Motivation an dem Programm teilzunehmen, verwendet er die Insiderinformation i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG“.
Gleiches gilt, wenn sich ein Marktteilnehmer ohne Kenntnis einer Insiderinformation gegenüber einem anderen zum Verkauf einer bestimmten Menge Aktien zu einem bestimmten Termin und einem festgelegten Preis verpflichtet, ohne über die Aktien zu verfügen. …Aufgrund der bereits eingegangenen rechtlichen Verpflichtung zur Veräußerung der bestimmten Menge Aktien zu einem bestimmten Termin ist es für den Veräußerer unschädlich, wenn er nach Abschluss des Vertrages, aber vor dem Erwerb der Aktien zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit, Insiderinformationen erhält.

 
2.2. Die EU- Marktmissbrauchsverordnung Nr. 596/2014 – objektivierter Verbotstatbestand und dessen Einschränkung durch Tatbestände für „Legitime Handlungen“

 

Demgegenüber formuliert die Europäische Marktmissbrauchsrichtlinie Nr. 596/2014 das Insiderverbot objektiver und definiert bereits den Erwerbstatbestand als verbotene Nutzung.
„Für die Zwecke dieser Verordnung liegt ein Insidergeschäft vor, wenn eine Person über Insiderinformation verfügt und unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung……“

 

Im Englischen und Französischen Text wird der Unterschied deutlicher:
„…insider dealing arises where a person possesses inside information and uses that information by acquiring or disposing of,

 

„…une opération d’initié se produit lorsqu’une personne détient une information privilégiée et en fait usage en acquérant ou en cédant,

 

In Art 9 „Legitime Handlungen“ macht die Marktmissbrauchsverordnung dann Einschränkungen, um die Folgen dieses weiten Insiderverbotstatbestands zu begrenzen. Für den hier zugrundeliegenden Sachverhalt kommt nur Art. 9 Abs. 3 in Betracht. Andere „legitime Handlungen“, die für den Sachverhalt einschlägig sein könnten, werden nicht genannt.

(Abs.3) Für die Zwecke der Artikel 8 und 14 wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist, nicht angenommen, dass sie diese Informationen genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insidergeschäfte getätigt hat, wenn diese Person ein Geschäft zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten tätigt, das in gutem Glauben und nicht zur Umgehung des Verbots von Insider­geschäften durchgeführt wird, um einer fällig gewordenen Verpflichtung nachzukommen, und wenn …

In der EU-Richtlinie Marktmissbrauchsrichtlinie 2014/57 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie) heißt es hierzu kurz und bündig:

„Artikel 3

Insider-Geschäfte, Empfehlung an Dritte oder Anstiftung Dritter zum Tätigen von Insider-Geschäften

….

(2)   Für die Zwecke dieser Richtlinie liegt ein Insider-Geschäft vor, wenn eine Person über Insider-Informationen verfügt und unter Nutzung dieser Informationen für eigene oder fremde Rechnung unmittelbar oder mittelbar Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert.

….

(8)   Für die Zwecke dieses Artikels wird aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist oder war, nicht angenommen, dass sie diese Informationen genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insider-Geschäfte getätigt hat, wenn ihre Handlungen nach Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 als rechtmäßig gelten.“

 

2.3. Flexibilisierung des Insiderverbotes für Geschäfte von Führungskräften im Rahmen von Vergütungsprogrammen. (Ergänzungen der Marktmissbrauchsverordnung durch die DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2016/522 DER KOMMISSION vom 17. Dezember 2015 )

 

Demzufolge würden nach EU- Insiderrecht Aktienkäufe im Rahmen eines Vergütungsprogramms, das keine rechtliche Kaufverpflichtung enthält, zu einem Zeitpunkt, in dem der Käufer über Insiderinformationen verfügte, verbotene Insidergeschäfte darstellen. Allerdings flexibilisiert die Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 dieses Verbot mit den Erwägungsgründen 22 bis 24 in Artikel 9 „Merkmale des Handels während eines geschlossenen Zeitraums“. Der Emittent kann Geschäfte von Führungskräften im festgelegten Rahmen von und zur Ausübung von Mitarbeiterbeteiligungs- oder Vergütungsprogrammen auch während der geschlossenen Periode (ein Zeitraum vor Veröffentlichung von Bilanzzahlen) genehmigen. Ob diese Möglichkeit nur während des geschlossenen Zeitraums oder auch darüber hinaus bei Vorliegen von Insiderinformationen gelten soll, bleibt abzuwarten.

 

2.1.3. Zur Rechtslage in Deutschland im Dezember 2015

Im Dezember 2015 war der alte § 14 Abs. 1 Nr. 1WpHG noch als nationales Recht in Kraft. Die EU Marktmissbrauchsverordnung war zu diesem Zeitpunkt zwar schon verabschiedet, trat aber – unabhängig von der grundsätzlich unmittelbaren Geltung von EU-Verordnungen gegenüber Emittenten und Marktteilnehmern – erst am 3. Juli 2016 in Kraft.